Die beiden größten Hürden für Linux auf dem Desktop? Adobe Creative Suite und Microsoft Office. Mit WinBoat gehört dieses Problem der Vergangenheit an.
Stellt euch vor: Ihr sitzt an eurem Linux-Rechner, startet Photoshop CC mit einem Klick, parallel dazu Excel, vielleicht noch Acrobat und alles läuft, als wäre es native Linux-Software. Keine Dual-Boot-Frickelei mehr, kein nerviges Rebooten in Windows. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Willkommen bei WinBoat, dem Open-Source-Projekt, das gerade die Linux-Community aufmischt.
Was ist WinBoat eigentlich?
WinBoat ist eine kostenlose Open-Source-Lösung, die Windows-Anwendungen nahtlos in euren Linux-Desktop integriert. Das Besondere: Es versucht nicht, Windows-APIs zu emulieren, sondern führt ein vollständiges Windows mit KVM aus, kapselt es in Docker und integriert die Fenster via FreeRDP (RemoteApp) in eure Linux-Session.
Anders gesagt: Ihr habt ein echtes Windows 11 in einem schlanken Container laufen, aber ohne den typischen VM-Overhead und mit perfekter Integration in euren Linux-Desktop.
Die Installation: Überraschend einfach
Hier wird’s spannend, denn WinBoat macht vieles besser als die Konkurrenz. Die Installation ist so einfach, dass man erst nicht glauben kann, dass nichts vergessen wurde. Einfach den Installer starten, ein paar Mal klicken, fertig.
Was ihr vorher braucht:
- Docker und Docker Compose v2
- FreeRDP v3
- KVM-Virtualisierung (im BIOS/UEFI aktiviert)
- AppImage-Support (FUSE2)
Die Installation Schritt für Schritt:
1. Voraussetzungen installieren
Bei Arch-basierten Systemen (Manjaro, EndeavourOS, CachyOS):
sudo pacman -S --needed docker docker-compose freerdp
Bei Ubuntu/Debian:
sudo apt install docker.io docker-compose freerdp3-x11
2. Docker-Dienst aktivieren
sudo systemctl enable --now docker.service
sudo usermod -aG docker "$USER"
newgrp docker
3. Kernel-Module für Dateisystem-Freigabe
echo -e "ip_tables\niptable_nat" | sudo tee /etc/modules-load.d/iptables.conf
4. WinBoat herunterladen
Holt euch das AppImage von der offiziellen Website oder vom GitHub-Repository. Macht es ausführbar, startet es. Der Rest läuft automatisch!
WinBoat holt sich die Windows-Installationsdateien offiziell von Microsoft-Servern, modifiziert sie so, dass unnötiger Ballast nicht installiert wird, und legt automatisch einen lokalen User an. Der gesamte Prozess ist grafisch und selbsterklärend.
Bei der Installation werdet ihr durch einen grafischen Installationsassistenten geleitet, dem solltet ihr aber für die Installation erst einmal die englische Windows 11 Version lassen und später im neuen Win11 die Sprache umstellen, bei Deutsch als Auswahl kommt ansonsten eine Fehlermeldung.
Der Vergleich: WinBoat vs. die Konkurrenz
Wine/CrossOver: Die API-Emulation
Wine und sein kommerzieller Ableger CrossOver versuchen, Windows-APIs nachzubauen. Das funktioniert bei vielen Anwendungen gut, aber:
- Adobe Creative Suite funktioniert nicht oder nur schlecht mit Wine
- Microsoft Office macht häufig Probleme
- DRM-geschützte Software (Adobe nutzt tief ins System eingreifende Kopierschutz-Mechanismen) läuft oft gar nicht
- Ständiges Hickhack mit Prefix-Konfigurationen
WinBoat-Vorteil: Ihr könnt Software ausführen, die mit CrossOver oder Wine nicht funktioniert, und habt gleichzeitig einen vollen Windows-Desktop zur Verfügung. Wenn es unter Windows läuft, läuft es unter WinBoat.
WinApps: Der direkte Konkurrent
WinApps arbeitet ebenfalls mit Docker und dem Dockur-Projekt. Bei WinApps macht ihr den Großteil der Einrichtung manuell, es gibt keine kohärente Oberfläche, sondern nur eine einfache TUI, ein Taskbar-Widget und CLI-Befehle. Die Installation insgesamt ist auch etwas fummelig.
WinBoat-Vorteile:
- WinBoat übernimmt die komplette Einrichtung automatisch, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind
- Alles wird in einer übersichtlichen Oberfläche dargestellt
- Es fühlt sich wie ein komplettes Erlebnis an – keine Konfigurationsdateien, keine CLI-Befehle zum Auswendiglernen
- In Tests lief WinBoat stabiler und schneller als WinApps
Proton/Steam: Gaming only
Valves Proton ist fantastisch, für Spiele. Für Office-Software, Creative-Tools oder spezialisierte Business-Anwendungen ist es nicht ausgelegt. WinBoat füllt diese Lücke perfekt.
Die Features: Was WinBoat drauf hat
Nahtlose Integration
Windows-Anwendungen erscheinen als eigenständige Fenster auf OS-Ebene in eurer Linux-Session. Kein umständlicher Desktop-in-Desktop – die Windows-Programme sitzen direkt neben euren Linux-Apps in der Taskleiste.
Dateisystem-Freigabe
Euer Home-Verzeichnis wird in Windows eingebunden, sodass ihr problemlos Dateien zwischen beiden Systemen teilen könnt. Ihr findet eure Linux-Dateien unter \\Host.lan\Data in Windows.
USB-Passthrough
Ab Version 0.8.0 unterstützt WinBoat USB-Passthrough als experimentelles Feature. Das bedeutet: Peripherie-Geräte, die Windows-Software zur Konfiguration brauchen, funktionieren direkt.
Automatisierte Windows-Installation
Der Installationsprozess ist komplett automatisiert durch die grafische Oberfläche – ihr wählt eure Präferenzen und Spezifikationen, und WinBoat erledigt den Rest.
Ressourcen-Monitoring
Ihr könnt live sehen, wie viel CPU, RAM und Speicher eure Windows-VM verbraucht – und die Ressourcen dynamisch anpassen.
Performance: Wie schnell läuft das Ganze?
Das ist natürlich die Millionen-Dollar-Frage. In Tests auf einem AMD Ryzen 9 7950X3D mit 32 GB RAM (16 CPU-Kerne und 12 GB RAM für WinBoat) zeigte sich: Der Firefox-Benchmark Speedometer 3.1 lief in der VM nur minimal langsamer als nativ unter Linux.
Geekbench-Ergebnisse waren etwa 9 Prozent schlechter bei Single-Core und 13 Prozent bei Multi-Core im Vergleich zu nativem Linux. Das ist verdammt beeindruckend!
Der Grund: WinBoat nutzt das Remote-Desktop-Protokoll (RDP) statt VNC, was deutlich flüssiger läuft. Und anders als bei herkömmlichen VM- oder Fernzugriffs-Lösungen gibt es keine sichtbaren Kompressionsartefakte.
Videotips zum Thema
Zuviel Text und keine Lust weiter zu lesen was geht und was nicht? Keno von ct3003 hat letzte Woche ein Video dazu online gestellt:
Auch dieses Video möchte ich euch da noch ans Herz legen.
Praxis-Test: Die problematischen Kandidaten
Schauen wir uns an, wie Software läuft, die unter Linux bisher ein Albtraum war:
Adobe Photoshop CC
Die komplette Adobe Suite funktioniert unter WinBoat. Photoshop startet mit einem Warnhinweis wegen fehlender kompatibler GPU, ist aber trotzdem gut nutzbar.
Meilleures pratiques: Photoshop sollte über den vollen Windows-Desktop genutzt werden, nicht als einzelnes Fenster in Linux, da es sonst zu Problemen mit Menüs und Schaltflächen kommt.
Einsatzszenario: Für gelegentliche Bearbeitung und das Verschieben von Ebenen reicht die Performance völlig aus. Professionelle Ganztags-Bildbearbeitung könnte etwas träge sein – aber es funktioniert!
Adobe Premiere Pro
Bei 1080p-Videos läuft Premiere wirklich flüssig und ist durchaus nutzbar. Bei 4K-Material fängt es allerdings an zu ruckeln.
Auch hier gilt: Über den Windows-Desktop starten für beste Ergebnisse.
Microsoft Office (Word, Excel, PowerPoint)
Die Office-Suite läuft butterweich, selbst als einzelnes Fenster direkt in Linux. Einfache Programme wie Word oder Excel funktionieren problemlos ohne Umweg über den Desktop direkt in einem Fenster in Linux.
Adobe Acrobat
PDFs mit Signaturen und speziellen Funktionen, die nur mit dem echten Acrobat funktionieren, laufen problemlos. Das war früher ein Hauptgrund, in Windows zu booten? Yay, das ist jetzt nicht mehr nötig!
Paint Tool Sai, AeroChat & Co.
Zahlreiche Nischen-Anwendungen, die unter Wine überhaupt nicht liefen, funktionieren jetzt einwandfrei. Wenn es unter Windows läuft, läuft es unter WinBoat.
Affinity Photo
Die Photoshop-Alternative von Serif läuft ebenfalls, eine weitere Software, die unter Wine nicht nutzbar war.
Die Einschränkungen: Was geht nicht?
Seien wir ehrlich: Auch WinBoat ist nicht perfekt:
Kein GPU-Passthrough (noch nicht)
GPU-Passthrough wird derzeit nicht unterstützt, ist aber geplant. Das Team arbeitet an Lösungen mit paravirtualisierten Treibern. Für Gaming oder GPU-intensive 3D-Arbeit ist WinBoat also (noch) nicht optimal.
Anti-Cheat-Spiele
Spiele mit Kernel-Level-Anti-Cheat funktionieren nicht, da diese Virtualisierung blockieren. Fortnite, Valorant, Call of Duty? Hier bleibt nur der native Windows-Boot.
Hardware-Anforderungen
Ihr braucht einen halbwegs potenten Rechner. Auf einem System mit Ryzen 5 9600X (6 Kerne statt 16) und 32 GB RAM lief WinBoat noch okay, aber fühlbar weniger flüssig, vor allem bei Apps außerhalb des Desktops.
Empfehlung: Mindestens 8 CPU-Kerne, 16 GB RAM (12 GB für den Host, 4+ GB für WinBoat), und eine SSD.
Beta-Status
WinBoat befindet sich aktuell in der Beta-Phase, ihr solltet also gelegentliche Probleme und Bugs erwarten und etwas Troubleshooting-Bereitschaft mitbringen.
Est-ce légal?
Die Frage brennt euch sicher unter den Nägeln. Die Dockur-Entwickler sagen klar: Das Projekt enthält ausschließlich Open-Source-Code und kein urheberrechtlich geschütztes Material.
Mais: Das Windows in WinBoat ist nicht aktiviert. Es zeigt zwar kein Wasserzeichen und funktioniert, aber für die langfristige Nutzung empfiehlt sich eine Windows-Lizenz. Günstige OEM-Keys gibt es ab etwa 4-5 Euro, und damit seid ihr rechtlich auf der sicheren Seite.
Praktische Tipps für den Alltag
Workflow-Optimierung
- Leichte Office-Arbeit: Startet Word, Excel etc. direkt als einzelne Fenster
- Adobe Creative Suite: Nutzt den vollen Windows-Desktop für Photoshop und Premiere
- Datei-Austausch: Legt alle Arbeitsdateien in euer Linux-Home-Verzeichnis – beide Systeme können darauf zugreifen
- Ressourcen anpassen: Gebt WinBoat mindestens die Hälfte eurer CPU-Kerne und etwa 40-50% des RAMs
Dépannage
- VNC als Fallback: Falls RDP Probleme macht, erreicht ihr Windows auch über
http://127.0.0.1:8006im Browser - Performance-Probleme: Reduziert die Bildschirmauflösung in Windows oder startet bestimmte Apps im Desktop-Modus statt als einzelne Fenster
- Mises à jour: WinBoat aktualisiert sich selbst, das Docker-Windows könnt ihr wie gewohnt über Windows Update pflegen
Zukunftsausblick
Das WinBoat-Team arbeitet an:
- Podman-Unterstützung als Docker-Alternative
- GPU-Acceleration via paravirtualisierte Treiber
- Flatpak-Paket für einfachere Installation
- Looking Glass Integration für bessere Grafik-Performance
Fazit: Lohnt sich WinBoat?
Für wen ist WinBoat ideal?
- Linux-Enthusiasten, die nicht auf Adobe oder Office verzichten können
- Umsteiger, die den letzten Schritt zu 100% Linux machen wollen
- Professionals, die gelegentlich Windows-Software brauchen
- Tüftler, die neue Technologien ausprobieren
Für wen eher nicht?
- Gamer (nutzt Proton/Steam oder nativen Windows-Boot)
- 3D-Artists mit GPU-intensiven Workflows
- Nutzer schwacher Hardware (< 8 Kerne, < 16 GB RAM)
TL:DR
WinBoat ist kein absoluter Game Changer für die Linux-Community. Es löst endlich das Adobe- und Office-Problem elegant und mit überraschend guter Performance. Linux auf dem Desktop wird immer beliebter, aber Adobe-Software und Microsoft Office waren die zwei größten Hürden. WinBoat holt beides auf den Linux-Desktop.
Die Installation ist kinderleicht, die Integration nahtlos, und die Performance für die meisten Anwendungsfälle mehr als ausreichend. Ja, es ist Beta-Software. Ja, GPU-Passthrough fehlt noch. Aber was heute schon funktioniert, ist beeindruckend.
Probiert es aus! WinBoat ist kostenlos, Open Source (MIT-Lizenz), und die Community auf Discord ist hilfsbereit. Die Zukunft von Linux auf dem Desktop sieht verdammt gut aus.
Links: WinBoat Website | GitHub Repository | Dockur Project | WinBoat Discord Community