Stellt euch vor: Ihr wollt nur schnell die Gehaltsabrechnung herunterladen. Ein simpler Vorgang, könnte man meinen. Doch stattdessen landet Ihr in einem digitalen Hindernisparcours aus gesperrten Konten, mysteriösen Apps und endlosen Authentifizierungsschleifen.
Willkommen in der deutschen Digitalisierung 2025! Gelesen in diesem Artikel.
Der Teufelskreis der Zwei-Faktor-Authentifizierung
Was als „mehr Sicherheit“ verkauft wird, entpuppt sich für Millionen Deutsche ohne technischen Hintergrund als digitale Sackgasse. Das Problem beginnt meist harmlos: Der Arbeitgeber nutzt zB. einen Dienstleister für die Lohnabrechnungen. Um an eure eigenen Daten zu kommen, müsst Ihr euch dort registrieren und eine App installieren.
So weit, so gut. Klappt prima. Aber dann passiert schnell mal so was:
- Ihr wechselt euer Smartphone oder setzt es zurück
- Die Authentifizierungs-App ist weg
- Euer altes Konto ist noch mit eurer E-Mail-Adresse verknüpft
- Ein neues Konto könnt Ihr deshalb nicht erstellen („E-Mail schon vergeben“)
- Das alte Konto ist aber unerreichbar (kein Zugangscode mehr)
Herzlichen Glückwunsch – Jetzt steckt ihr erstmal der digitalen Falle! Eure E-Mail ist wie ein Geist im System: vorhanden, aber nicht greifbar.
Die App-Store-Falle: Wenn Hilfe teuer wird
Verzweifelt suchen viele nach Lösungen im App-Store. Hier lauert die nächste Falle: dubiose Klon-Apps, die aussehen wie echte Authenticator-Tools, aber versteckte Abos enthalten. Ein Klick zu viel, und schon zahlt ihr 7-15 Euro monatlich für eine App, die schlimmstenfalls nicht mal funktioniert.
Technischer Hintergrund: Seriöse Authenticator-Apps wie Google Authenticator oder Microsoft Authenticator sind kostenlos. Kostenpflichtige Varianten könnten zB. Passwortmanager mit Zusatzfunktionen sein, die sich ihre Dienste dann gern bezahlen lassen.
Beispiel 1 – DATEV: Der digitale Monopolist
DATEV ist kein kleines Startup, sondern beherrscht in Deutschland den Markt für Lohnabrechnungen. Rund 2,5 Millionen Arbeitnehmer sollen über deren System auf ihre Daten zugreifen können – theoretisch. Praktisch scheitern viele an der technokratischen Benutzerfeindlichkeit.
Das Problem: Das System ist wie ein Türschloss, das den alten Schlüssel verlangt, aber keinen Ersatzschlüssel akzeptiert – und trotzdem jeden neuen Registrierungsversuch mit „gehört schon jemandem“ ablehnt.
Beispiel 2 – ELSTER: (persönliche Erfahrung)
Auch das Elster Portal kann durchaus einige Hürden bereitstellen, wenn man vor mehr als 10+ Jahren einmal ein Konto dort hatte, dann aber entweder über längere Zeit einen Steuerberater nutzte oder aber über andere Tools seine Erklärung eingereicht hat.
Der Passwort-Reset gelingt lediglich an die im Konto hinterlegte eMail-Adresse, sofern man sich an diese erinnern kann. Alternativ kann man auch seinen damalig benutzten Benutzernamen eingeben um sich seine eMail-Adresse anzeigen zu lassen – auch dass erfordert allerdings gute Dokumentation oder ein gutes Gedächtnis. Nach mehreren Jahren Auslandsaufenthalt ist dann auch gern mal weder das eine noch das andere noch bekannt. Neu registrieren geht aber nicht, denn es gibt ja schon ein Konto zur Person.
Die grundsätzliche Möglichkeit sich mit dem eAusweis alternativ als Besitzer zu authentifizieren klappt aber auch nur wenn man sich noch an Teile des damaligen Kontos erinnern kann. Ich mach es mal kurz:
Am Ende hilft in so einem Fall nur eine eMail an einen Supporter, der euch dann entweder den Benutzernamen oder die eMail nennen kann, sofern eure anderen Angaben stimmen bzw. euch vermutlich auch anbietet der Einfachheit halber euer Konto auf eine aktuelle eMail-Adresse umzuziehen.
Beispiel 3 – Arbeitsagentur
Auch bei der Arbeitsagentur ist das Zusammenspiel der einzelnen digitalen Dienste manchmal unnötig kompliziert. Nehmen wir einmal an man meldet sich Arbeitssuchend, als braver Neuland-Bürger natürlich digital. Dazu erstellt man einfach ein Konto bei der Bundesagentur für Arbeit und gibt dann dort seine Daten ein. Das lässt sich auch mit Passkey machen und per 2FA absichern. So weit so gut.
Ein paar Tage später kommt dann als erstes ein Brief mit einem 36 Seiten Hochkant Handbuch über Rechte, Pflichten und die Bedienung des Online Portals, zusammen mit dem Fragebogen den man bereits aus der Onlinemaske kennt, nur leer. Zum nochmal per Hand ausfüllen. Yeah!
Wenn man dann auch dies erledigt und zurück gesendet hat bekommt man mit etwas Glück noch einen Anruf für weitere Daten, die bisher weder online noch in dem Druckformular abgefragt wurden – vermutlich als zusätzlicher zweiter „Sicherheitsfaktor“ dass die Person auch wirklich existiert?
Im Anschluss bekommt man dann in dem Online Konto eine Nachricht von seiner Betreuungsperson, kann aber am PC/MAC oder Mobiltelefon nicht darauf antworten. Das geht laut Meldung auf der Webseite wiederum nur über die BA-Mobil App. Warum? Egal, also noch die App geladen. Antwort geschickt, passt.
Um dann aber später, sollte es tatsächlich zur Arbeitslosigkeit kommen seine Bankverbindung eingeben zu können braucht es eine „sicherere digitale Loginmöglichkeit“, das geht dann nicht mehr mit dem BA Konto von oben, dann braucht es die BundID, man überträgt ja seine Bankdaten!
Sobald man dann die BundID eingerichtet hat, wird die wohl intern mit dem BA Konto verknüpft, ab da kann man sich dann nicht mehr über die BA-mobil App einloggen. Soll dass wirklich so sein?
Politisches Versagen: Digitalisierung ohne Rücksicht
Die Politik feiert die „digitale Verwaltung“, überlässt aber die Umsetzung privaten Anbietern. Das Ergebnis: Systeme, die auf maximale Absicherung, nicht auf Nutzerfreundlichkeit setzen. Wer nicht mithalten kann oder will, hat Pech gehabt.
Die Botschaft ist klar: Spiel mit oder bleib draußen
Was wir erleben, ist keine technische Modernisierung, sondern digitale Entmündigung. Die Botschaft an die Bürger lautet: Du kommst nur an deine eigenen Daten, wenn du das ganze Spiel mitspielst – inklusive aller Risiken, Apps, Kosten und technischen Hürden.
Die Realität draußen: Menschen, die zwei bis drei Mal im Jahr ihre Lohnabrechnung brauchen, werden wie IT-Spezialisten behandelt. Wer nicht Schritt hält, wird digital ausgegrenzt.
Fazit: Zurück zum Menschen
Echte Digitalisierung sollte das Leben vereinfachen, nicht verkomplizieren. Stattdessen erleben wir einen schleichenden Rückzug des Servicegedankens zugunsten technokratischer Effizienz.
Was wir brauchen, um wirklich alle abzuholen:
- Systeme, die mit den unerfahrensten Nutzern getestet werden
- Analoge Alternativen für digitale Services
- Eine digitale Ethik, die den Menschen als Subjekt begreift, nicht als Datensatz
- Politische Regulierung, die Wahlfreiheit statt Zwang fördert
Denn wenn selbst der Zugriff auf die eigene Lohnabrechnung zur Hürde wird, hat die Digitalisierung ihren Zweck verfehlt. Es ist Zeit für eine menschlichere digitale Zukunft.
Quelle: NachDenkSeiten – Digitale Sackgassen von Günther Burbach