Erinnert ihr euch an meinen letzten Beitrag zur Chatkontrolle? Da hatte ich euch vor dieser digitalen Dystopie gewarnt, die uns mit der anlasslosen Massenüberwachung aller Chats drohte. Die Abstimmung am 14. Oktober sollte über die Zukunft unserer digitalen Privatsphäre entscheiden.
Und jetzt kommt die gute Nachricht:
Die verpflichtende Chatkontrolle ist vorerst gescheitert!
Am 31. Oktober hat die dänische Ratspräsidentschaft die anlasslose Chatkontrolle aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Client-Side-Scanning? Vom Tisch! Verpflichtende Überwachung durch WhatsApp, Signal und Co.? Nicht mit uns!
Was ist passiert?
Die dänische Ratspräsidentschaft hat kapituliert – und das ist verdammt gut so. Der Kompromissvorschlag, der eine verpflichtende Durchleuchtung aller privaten Nachrichten vorsah, fand unter den EU-Ländern nicht die notwendige Mehrheit. Deutschland hatte sich – nach langem Schweigen und massivem öffentlichen Druck – gegen das Vorhaben gestellt. Und genau das war der entscheidende Faktor.
Stellt euch vor: Die Abstimmung, vor der wir alle gewarnt haben, ist einfach nicht zustande gekommen. Keine qualifizierte Mehrheit, kein Gesetz, keine Überwachungsinfrastruktur. Zumindest vorerst.
Warum ist das überhaupt passiert?
Ganz einfach: Ihr wart verdammt laut!
Das Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ hat dem Bundesinnenministerium Anfang Oktober eine Petition mit über 300.000 Unterschriften überreicht. Der CCC, D64, die GFF, EDRi, hunderte IT-Sicherheitsexperten, Wissenschaftler, Datenschützer und sogar Kinderschutzorganisationen haben alle an einem Strang gezogen. Die komplette Fach-Community stand geschlossen gegen dieses Vorhaben.
Und dann wart da noch ihr. Jeder einzelne von euch, der das Thema geteilt, darüber gesprochen, bei Politikern vorstellig geworden ist oder einfach nur die Petition unterschrieben hat. Das hat funktioniert!
Deutschland hat sich dank des öffentlichen Drucks gegen die Chatkontrolle gestellt, und ohne deutsche Unterstützung fehlte die notwendige Mehrheit im EU-Rat. Das ist demokratischer Widerstand, wie er sein sollte.
Bundesregierung feiert sich; zu Recht?
Das Bundesinnenministerium und Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) begrüßen den neuen Vorschlag natürlich überschwänglich. Hubig betont, dass „keine roten Linien überschritten“ würden und „elementare Bürgerrechte auch im digitalen Raum gewahrt“ bleiben müssen.
Klingt gut, oder? Aber mal ehrlich: Die Bundesregierung hat sich verdammt lange geziert. Die CDU/CSU-SPD-Koalition schwieg wochenlang eisern zur deutschen Position, obwohl im Koalitionsvertrag stand, dass man die „Vertraulichkeit privater Kommunikation garantieren“ wolle.
Erst als 300.000 Menschen eine Petition unterschrieben hatten und der öffentliche Aufschrei nicht mehr zu ignorieren war, kam das klare „Nein“. Das ist gut – aber man sollte nicht vergessen, dass erst massiver Druck nötig war.
Aber Achtung: Das Spiel ist noch nicht vorbei!
Jetzt kommt der Teil, wo ich euch ein bisschen die Euphorie-Bremse reindrücken muss. Die verpflichtende Chatkontrolle ist vom Tisch, das ist erst einmal super. Aber der neue Kompromissvorschlag setzt auf Freiwilligkeit.
Was bedeutet das konkret? Plattformen wie Meta, Google oder andere große Tech-Konzerne können weiterhin freiwillig Inhalte filtern. Und das tun sie ja bereits, vor allem die US-Anbieter scannen Uploads auf ihren Plattformen nach Missbrauchsdarstellungen und melden diese an Behörden.
Warum ist das problematisch?
Die EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) kritisiert den neuen Vorschlag scharf: „Es den Plattformen zu überlassen, ob sie Überwachen, gleicht einer Verweigerung die politische Verantwortung zu übernehmen.“ Mit anderen Worten: Statt klarer gesetzlicher Regelungen überlässt man es den Tech-Konzernen selbst, wie viel sie überwachen wollen. Das ist wie der Bock, der Gärtner spielt.
Auch der Deutsche Anwaltsverein warnt vor einem „immensen Risiko für Berufsgeheimnisträger“. Auch die freiwillige Kontrolle betrifft sensible Kommunikation von Anwälten, Ärzten, Journalisten und anderen, deren vertrauliche Kommunikation geschützt sein muss.
Und jetzt kommt die IP-Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür
Plot Twist: Justizministerin Hubig verkündet fast im gleichen Atemzug, dass sie nun die IP-Vorratsdatenspeicherung für „unverzichtbar“ hält, um Missbrauchsdarstellungen effektiv zu bekämpfen.
Moment mal? War das nicht die Maßnahme, die jahrelang auch in der SPD für massive Kontroversen gesorgt hat? Die von Datenschützern und Verfassungsrechtlern als unverhältnismäßig kritisiert wird? Genau die!
Das Perfide daran: Es gibt keinerlei Statistiken, die eine bessere Aufklärungsquote in EU-Staaten belegen, die seit Jahren IP-Vorratsdatenspeicherung haben. Es ist eine anlasslose Massenüberwachung ohne nachgewiesenen Nutzen, aber sie soll jetzt als Alternative zur Chatkontrolle verkauft werden.
Das ist so, als würde man sagen: „Hey, wir bauen keine Überwachungskamera in euer Wohnzimmer, – aber dafür tracken wir jetzt alle eure Bewegungen auf der Straße. Viel besser, oder?“
Was bedeutet das alles für uns?
Erstmal durchatmen: Die anlasslose, verpflichtende Chatkontrolle mit Client-Side-Scanning ist vom Tisch. Das ist ein Sieg für Grundrechte, Verschlüsselung und digitale Privatsphäre!
Aber -> und das ist wichtig <- die Debatte ist nicht vorbei. Im Dezember sollen sich die Innenminister der EU-Staaten auf eine gemeinsame Position einigen. Danach beginnen die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission. Und dort wird es darauf ankommen, dass die Grundrechte gewahrt bleiben.
Die Risiken bleiben:
- Freiwillige Überwachung: Tech-Konzerne entscheiden selbst, wie viel sie scannen
- IP-Vorratsdatenspeicherung: Die nächste Form der anlasslosen Überwachung steht schon in den Startlöchern
- Trilog-Verhandlungen: Im Hinterzimmer können immer noch Verschärfungen durchgesetzt werden
Was können wir jetzt tun?
Genau das, was wir die ganze Zeit getan haben: Wachsam bleiben und laut sein!
- Verfolgt die Entwicklung weiter: Die Verhandlungen gehen weiter, die Abstimmung im Dezember ist der nächste kritische Punkt
- Unterstützt Organisationen wie den CCC, D64, die GFF und das Bündnis „Chatkontrolle stoppen“: Sie machen die Arbeit an vorderster Front
- Sprecht mit Abgeordneten: Die EU-Parlamentarier werden im Trilog mitverhandeln – macht ihnen klar, dass ihr sichere Verschlüsselung und digitale Grundrechte wollt
- Teilt weiter Informationen: Viele Menschen wissen immer noch nicht, was auf dem Spiel steht
Mein Fazit
Das ist zwar erst einmal ein Sieg, aber kein endgültiger. Wir haben bewiesen, dass öffentlicher Druck funktioniert. Dass Zivilgesellschaft, Experten und engagierte Bürger etwas bewegen können. Die Chatkontrolle in ihrer ursprünglichen, dystopischen Form ist vorerst gestoppt.
Aber Vorsicht: Die Begehrlichkeiten sind noch da. Politiker, die glauben, dass Sicherheit durch Überwachung entsteht. Behörden, die mehr Befugnisse wollen. Und Lobbyisten, die weiterhin für eine Schwächung von Verschlüsselung kämpfen.
Die IP-Vorratsdatenspeicherung zeigt das deutlich: Wenn Plan A nicht funktioniert, wird einfach Plan B aus der Schublade gezogen. Anlasslose Massenüberwachung mit anderem Namen.
Deshalb: Bleibt wachsam. Bleibt kritisch. Und vor allem: Bleibt laut!
Wir haben in den letzten Wochen gezeigt, dass wir uns unsere digitale Freiheit nicht einfach wegnehmen lassen. Und das sollten wir auch in Zukunft nicht tun.
TL:DR
Verschlüsselung funktioniert nur ohne Hintertüren.
Grundrechte gelten auch digital.
Und Überwachung darf niemals zur Normalität werden.
Danke an alle, die mitgekämpft haben!
Quellen:
- Golem: EU verzichtet auf anlasslose Chatkontrolle
- Heise: Chatkontrolle – Bundesregierung erfreut, Kritik aus dem Europaparlament
- Junge Freiheit: Anlasslose Chatkontrolle kommt nicht
- BNN: Verpflichtende Chatkontrolle vom Tisch
Weiterlesen:
Chatkontrolle stoppen – Bündnis | CCC Stellungnahme | GFF zur Chatkontrolle