Herzlich willkommen im Neuland deluxe: Glasfaser zu haben, ohne Glasfaser zu haben!
Liebe Leidensgenossen und Neuland-Pioniere, Hand aufs Herz: Wir alle haben die Nase voll vom digitalen Flickenteppich, den wir hier in Deutschland Infrastruktur nennen. Während andere Länder schon lange mit Gigabit-Geschwindigkeiten über reine Glasfaserleitungen surfen, kämpfen wir uns oft noch durch den Breitband-Dschungel.
Der ultimative Joker im Technologie-Quartett ist natürlich der Glasfaserausbau. Doch wie so oft im Land der Dichter und Denker (und der Kupferleitungen) ist die Realität komplizierter, als es die glänzenden Hochglanzprospekte der Telekommunikationsriesen vermuten lassen.
Aktueller Stand: Nennen wir es „Ausbaufähig“.
Die goldene Regel des Glasfaser-Abstands
Zuerst ein kurzer Crashkurs, damit Ihr wisst, worüber wir hier überhaupt jammern (auf sehr hohem Niveau, aber dazu später): Es geht um die berühmten Abkürzungen:
- FTTC (Fiber to the Curb): Die Faser geht nur bis zum grauen Kasten auf der Straße (Curb). Den letzten, entscheidenden Weg zu Dir nach Hause legt das Signal über die gute alte Kupferleitung zurück. Das ist der VDSL-Standard. Er ist okay, aber die Geschwindigkeit schmilzt wie Eis in der Sonne, je weiter Du vom Kasten entfernt wohnst.
- FTTB (Fiber to the Building): Hier wird es schon deutlich besser! Die Glasfaserleitung kommt bis in dein Gebäude, oft in den Keller. Von dort wird die Faserenergie entweder per Ethernet oder Koaxialkabel (Kabelfernsehen-Leitung) in die Wohnung verteilt. (ich denke dabei an einen typischen Mietwohnblock zB.) Eigentlich eine Top-Basis.
- FTTH (Fiber to the Home): Der Heilige Gral. Die Faser kommt direkt in Deine Wohnung (oder zumindest in den Anschlussraum). Das ist die reinste, schnellste und zukunftssicherste Lösung. Das ist das, was wir wollen!
Soweit die Theorie der modernsten Technik. In der Praxis, gerade in ländlichen Regionen, sieht das „Neuland“ aber eher nach einem unvollendeten, sarkastischen Kunstwerk aus.
Die traurige Geschichte vom „halben“ Glasfaser
Mitte letzte Woche ruft mich mein Kumpel an. Er hat gerade sein neu gekauftes Haus kernsaniert und ist so weit happy: In seinem Ort wurde ja auch letztes Jahr die Straße aufgerissen und Glasfaser verlegt. Stolz verkündet er: „Ich habe FTTH! Die Faser geht bis in mein Kästchen im Haus. Jetzt bestell ich endlich auch richtig flotten Upload!“ (Kabelanbieter haben ja üblicherweise 1Gbit/s down aber nur 50Mbit/s Upload bei Ihren Tarifen)
Voller Vorfreude ruft er seinen Wunschanbieter an (in seinem Fall Vodafone) und fragt nach dem reinen Glasfaseranschluss. Die Antwort der Hotline? Ein Schulterzucken für die Seele:
„Sie haben zwar die Glasfaserleitung im Haus, aber an Ihrem Anschluss haben Sie kein Glasfaser. Sie können nur Kabel buchen.“
Hä? Moment mal. Glasfaser zu haben, ohne Glasfaser zu haben? Klingt verrückt, ist aber in unserem „Neuland“ die traurige Realität.
Die Sache ist relativ simpel, wenn auch ganz schön frustrierend: In seinem Ort wurde zwar die Glasfaserleitung bis zum Haus verlegt (FTTH), aber die eigentlichen Verteilerkästen im Ort – und damit die dahinterliegende Infrastruktur des Anbieters – laufen noch auf Kabelanschluss (Koaxial).
Heißt im Klartext:
- Die Daten werden per Glasfaser zum Hauptverteiler im Ort geschickt (modern).
- Im Verteilerkasten (oder oft schon im Keller des Hauses) kommt ein Umsetzer zum Einsatz, der das blitzschnelle optische Signal sofort wieder auf das gute alte Kupfer/Koaxial umwandelt.
- Die Daten vom Haus, die per Glasfaser empfangen werden, werden ebenfalls wieder auf das Kabelnetz zurückübersetzt.
Das Ende vom Lied: Obwohl der Lichtwellenleiter buchstäblich in seinem frisch renovierten Keller endet, bucht mein Freund keinen FTTH-Anschluss (oder einen reinen FTTB-Zugang), sondern eben nur einen Kabel-Internet-Anschluss.
Irgendwann, so die tröstliche Aussage, werden die Verteiler dann mal auf reines Glasfaser umgebaut. Und dann bekommt er die versprochenen Traumgeschwindigkeiten. Bis dahin heißt es: Warten, bis die „zweite Stufe“ im Neuland gezündet wird.
Jetzt kommen natürlich dann auch noch andere Überlegungen mit ins Spiel. Kaufe ich mir jetzt die FritzBox Cable und gehe dass Risiko ein, dass die dann nutzlos rum liegt weil der Anbieter doch plötzlich in die Gänge kommt und den Ausbau abschließt? Miete ich mir die Box lieber, dann bekomme ich ja beim Ausbau auch die neue Glasfaser-Fritte?
Jammern auf hohem Niveau – mit berechtigtem Unterton
Okay, es ist Jammern auf hohem Niveau, das muss man zugeben. Der Kumpel ist mit seinem Kabelanschluss ja immer noch gesegnet. Andere „dürfen“ sich immer noch mit einer nicht mehr zeitgemäßen 16-Mbit/s-DSL-Leitung rumschlagen, weil der Abstand zum Verteiler für VDSL viel zu weit ist oder die Signalqualität so mies, dass keine stabile Leitung zustande kommt. Oder sie haben gar nur mühsame Hybrid-Lösungen mit 6 Mbit/s + LTE-Option.
Aber hey, hier kommt der sarkastische Unterton ins Spiel:
Warum? Warum wird im ganzen Ort teures Trenching (die Straßen aufreißen) betrieben, um moderne Glasfaserleitungen zu verbuddeln, um dann an beide Enden (im Haus und im Verteiler) sofort wieder einen Umsetzer auf die Kabeltechnologie zu basteln?
Wenn man schon den größten Aufwand betreibt und die Faser verlegt, hätte man es doch gleich komplett anständig fertig machen können. Stattdessen haben wir jetzt das Paradoxon der halben Modernität: Die Faser ist da, aber die aktive Technik liefert das „Gestern“.
Da freuen wir uns schon mal auf die dritte Stufe, wenn dann der Kabelanschluss in ein paar Jahren auch noch auf Glasfaser umgestellt wird. Bis dahin surft mein Kumpel in seinem neuen, sanierten Haus im Neuland deluxe. Ein echter Wilder Flickenteppich, den Ihr so schnell in keinem anderen modernen Industriestaat finden werdet.
TL:DR
Geduld ist eine Tugend! In diesem Sinne: Frohes Surfen und nicht verzagen, wenn auch Eure Glasfaser nur eine halbe ist, irgendwann wird bestimmt der Ausbau abgeschlossen sein!